Ich gebe es zu: Wenn ich der Sprache mächtig bin, lese ich ein Buch lieber im Original. Auch Filme sehe ich mir lieber im Originalton an, weil bei der Synchronisierung m.E. oft so schöne, scheinbar kleine Dinge wie Dialekte oder auch einfach die “echten” Stimmen der Schauspieler verloren gehen. (Und mal ganz ehrlich: Meistens sind sie ja gut gewählt, aber manche Synchronisationsstimmen passen einfach überhaupt nicht zu den Personen!)
Und auch beim geschriebenen Wort, kann es passieren, dass bei der Übersetzung etwas auf der Strecke bleibt, wenn auch vielleicht aus durchaus gutem Grund.
Aber gilt das auch andersherum?
Das gerade erschienene Buch von Sylvia Reinart “Im Original geht viel verloren. Warum Übersetzungen oft besser sind” geht genau dieser Frage nach und beleuchtet dabei auch das Übersetzen selbst ganz neu.
“Beim Übersetzen, so heißt es gemeinhin, ginge immer etwas verloren. Wer die Sprache des Originals beherrsche, sei daher gut beraten, das Ursprungswerk heranzuziehen. Für Übersetzerinnen und Übersetzer sowie für alle, deren Fremdsprachenkenntnisse nicht ausreichen, um den Ratschlag zu befolgen, ist die These der Verlustbilanz jedoch einigermaßen frustrierend. Aber stimmt sie überhaupt? Zahlreiche Fakten sprechen dagegen. Deshalb weitet Sylvia Reinart den etablierten unidirektionalen Blick auf das Übersetzen hier nun innovativ: Neben dem möglichen Verlust nimmt sie gleichberechtigt den sicheren Gewinn ins Visier. Der Titel fordert zum Überdenken traditioneller Konzepte auf und verweist auf die Strahlkraft von Übersetzungen. Manch eine Übersetzung ist tatsächlich besser als das Original”, lautet der Klappentext.
Ich erinnere mich an ein Buch eines US-amerikanischen Autors, das ich zunächst nur auf Deutsch zu lesen bekam, und das ich bald frustriert in die Ecke warf, weil die Geschichte zwar gut, aber grauenvoll geschrieben war. Mein erster Gedanke war, dass es vermutlich eine schlechte Übersetzung war. Allerdings wurde ich bald eines Besseren belehrt – das Original war genauso grauenvoll geschrieben.
Damals hatte ich selbst mit dem Übersetzen noch nichts am Hut. Heute frage ich mich, ob der oder die ÜbersetzerIn nicht vielleicht sogar doch schon eine bessere Geschichte präsentiert hatte als der Autor. Dafür müsste ich allerdings nochmal beides vergleichen, und so richtig aufraffen kann ich mich dazu nicht…
Tatsächlich sage ich aber auch meinen SchülerInnen, dass, selbst wenn der Ausgangstext nicht so toll ist, die Übersetzung deswegen nicht ebenfalls schlecht sein muss. Im Gegenteil, dass die Übersetzung besser ist als das Original, ist meiner Erfahrung nach gar nicht so selten der Fall.
Wenn es sich nicht gerade um ein literarisches Werk handelt*, spricht nichts dagegen (und vieles dafür), die Unstimmigkeiten, die während der Übersetzung auffallen, gemeinsam mit dem Verfasser oder der Verfasserin des Textes aufzulösen. Schließlich sieht sich niemand sonst einen Text Satz für Satz so genau an wie ein Übersetzer. Und nur eine Übersetzerin bemerkt mit ihrem geschulten Blick die Ungereimtheiten von einem Absatz zum nächsten.
Vielleicht sollten alle für die Veröffentlichung gedachten Texte erstmal übersetzt werden, bevor sie tatsächlich publik gemacht werden…
* (deren Autoren ja oft etwas empfindlich sind und die man zumindest zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht mehr kritisieren darf, aber das ist nur meine persönliche Meinung, muss nicht unbedingt die Realität widerspiegeln und soll v.a. auch keine Diffamierung von SchriftstellerInnen oder LektorInnen darstellen!)