Sind wir unsichtbar?

Hier ist ein sehr interessantes Interview von der Krimi-Couch mit vier Übersetzern zu ihrer Rolle und wie sie gesehen werden – oder eben nicht (etwas länger, aber gut!):

Unbedeutend, unterbezahlt, unsichtbar?

Die Krimi-Couch im Gespräch mit den ÜbersetzerInnen Pieke Biermann, Susanna Mende, Jürgen Bürger und Peter Friedrich

Krimi-Couch.de: Herr Friedrich,
auf Ihrer Website schreiben Sie, dass eine gute Übersetzung in
Buchbesprechungen selten erwähnt wird, bei einer schlechten der
Übersetzer aber schon die Kritik zu spüren bekommt. Gehören Sie vier
einer verkannten Zunft an?

Jürgen Bürger: JA! In den ersten
Jahren meiner Übersetzertätigkeit neigte ich noch zu einem milden
Lächeln, wenn unter Kollegen über den beschriebenen Sachverhalt geklagt
wurde – und dachte: Was für ein blödes Gejammer.

Sehe ich heute aber eine Sendung wie »Lesen!« von Frau Seidenweich
(zur Seite gesprochen: Frau Leidenteich steht nicht auf Krimis) und
höre, wie man sich nachgerade verliert in preisenden Ergüssen über
wunderschöne, kreative, ja geniale Formulierungen und Erzählkunst dieses
oder jenes Autoren/Autorin, ohne auch nur im klitzekleinsten Nebensatz
durchschimmern zu lassen, man wisse um und schätze die
Arbeit jener, die dem Leser deutscher Ausgaben solch literarisch
verursachte Absencen überhaupt erst ermöglichen (denn immerhin: hier und
an anderen Stellen, an denen Literaturkritik stattfindet, ist in aller
Regel die deutsche Version Gegenstand der Betrachtung, eben nicht die
Originalausgabe), dann werde ich schon mal zornig. Und fühle mich als
Angehöriger einer »verkannten Zunft«. Und weiß doch auch, dies ist ja
nur die Spitze des Eisbergs.

Peter Friedrich: Nein, ich fühle mich
nicht als Angehöriger einer verkannten Zunft! Dazu müsste man uns
Übersetzer doch erst mal zur Kenntnis nehmen. Wir sind leider in einer
ähnlichen Position wie die Drehbuchautoren bei Film und Fernsehen –
unsichtbar. Vielleicht mit dem Unterschied, dass die für ihr
Schattendasein besser bezahlt werden.

Peter Friedrich:»Man müsste uns Übersetzer überhaupt erstmal zur Kenntnis nehmen!«

Kürzlich hat mich jemand ganz ernsthaft gefragt, was ich als
Übersetzer denn so mache, schließlich gebe es dafür doch inzwischen
Computer. Was soll man da groß sagen? Aber bei Elke Heidenreich – da
Jürgen Bürger sie erwähnt hat -, da werde ich wirklich sauer. Wenn man
schon seine Brötchen mit einer Show über Literatur verdient, sollte man
vielleicht das Fingerspitzengefühl haben, diejenigen zu erwähnen, die
diese Show erst möglich gemacht haben. Und das sind eben nicht nur die
Autoren und das ZDF. Im Grunde ist es mir aber ziemlich egal, ob ich in
einer Kritik erwähnt werde oder nicht. Wird der Stil gerühmt, beziehe
ich das einfach auf mich. Ich glaube nicht, dass jemals ein Buch wegen
des Übersetzers gekauft werden wird. Bekommt man mehr Aufträge bei guten
Kritiken? Würde man welche verlieren bei schlechten? Keine Ahnung.

Jürgen Bürger: Es war einmal, da
dachte ich, wenn Du erst im »großen« Feuilleton erwähnt wirst, dann
wissen das natürlich auch sofort alle Lektoren dieser und anderer
Welten, und je nachdem hagelt’s nur so hoch dotierte Aufträge. Leider
nur geträumt. Gerade in den letzten paar Jahren hatte ich mehrere
angenehmste Erwähnungen in Zeit, FAZ und Co., aber darauf nicht ein
neuer Auftrag, gar nicht zu reden von größerer Bereitschaft, meinen
Honorarvorstellungen entgegenzukommen. Im Gegenteil wird zunehmend
massiver – gleichwohl das nichts mit »guten Kritiken« zu tun hat – auf
die Preise gedrückt.

Pieke Biermann: Es gibt ein
Grunddilemma beim Übersetzen, für das weder Rezensenten noch Verleger
noch gar Übersetzer selbst verantwortlich sind: Übersetzen ist wie
Hausarbeit, es ist dann gut, wenn es nicht auffällt. Wenn ich beim Lesen vergessen darf, dass das Buch ursprünglich nicht auf Deutsch verfasst wurde, dann ziehe ich mein UNO-Basecap vor dem/der ÜbersetzerIn.

Zweitens: Wenn ich mich verkannt fühle, hat das oft mit der
Tagesform zu tun. Gibt so Tage, an denen ist mir wurscht, ob
irgendwelche »tertiären Analphabeten« (vulgo: Literaturvermittler,
Rezensenten usw.) mich nun wahrnehmen oder nicht. An anderen nehme ich
schon übel, wenn sie mich zwar lautstark loben, aber nicht mal den Namen
richtig abschreiben (lassen).

Grundsätzlich finde ich es eigentlich nicht der Rede wert, weil selbstverständlich, dass ÜbersetzerInnen erstens genannt und zweitens kritisch gewürdigt werden. Betonung auf kritisch!
Denn ÜbersetzerInnen haben mit den Ur-UrheberInnen (vulgo: AutorInnen)
eins gemeinsam: Beide produzieren auch eine Menge Mist. Ich weiß das,
ich bin in beiden Abteilungen aktiv.

Was mich allerdings richtig nervt – here comes the twist! – sind
Verleger und deren Redakteure/Lektoren/Buchhalter (bitte auch die alle
in Innen-Form denken!), die wider besseres Rechnen ausgerechnet mit
solchen Übersetzern um Pfennige feilschen, die ihnen dank korrektur- und
kontrollarmer Arbeit große Folgekosten ersparen! Die eine/n, mit
anderen Worten, behandeln wie irgendwelche unbedeutenden Zulieferer. Ich
glaube, da liegt der Fötus des Hasen im Pfeffer – der ausgewachsene
Hase ist dann der nirgends besonders erwähnte Name des Übersetzers in
den nachfolgenden Medien.

Nach meinem Verständnis von Ökonomie und Gesellschaft wäre schon
viel gewonnen, wenn Verlagsmenschen ihre Übersetzungsmenschen mindestens
mal so sehen würden wie ein patriarchalischer Haushaltsvorstand die
Arbeit seiner Gattin: Die wird zwar bislang gar nicht bezahlt, aber
kluge Patriarchen wussten wenigstens immer schon, dass sie ohne beide
(die Gattin wie deren Arbeit) gar nichts wären, und – überließen
ersterer Zugang zum Konto.

Jürgen Bürger: Pieke, wie Zulieferer,
die man wirtschaftlich ruhig mal an die Wand drücken kann. Zitat einer
(mehr oder weniger bekannten dt. Verlegerin): »Nun, es zwingt Sie ja
niemand, diesen Beruf auszuüben.« Dies auf meinen Vorschlag, doch für
gute Arbeit ein wenig Anpassung an seit über zehn Jahren eingefrorenen
Honoraren vorzunehmen. Auch schön sind die trickreichen Versuche, andere
Abrechnungsmodalitäten jenseits der berühmten Normseite zu finden. Da
schrumpelt so eine »Normseite« dann schon mal gern um 30 Prozent ein.
Jüngst erst hatte ich wieder so eine Debatte, was mich dann am Ende –
denn ich stehe nicht am Ende der Nahrungskette – locker mal 1000 Euronen
kostete. »Wir bewegen uns ja jetzt auf Augenhöhe«, so die bereits
zitierte Verlegerin weiter, »wenn wir Preise aushandeln. Von wegen dem
neuen Urheberrecht.« Ja, ja, das sehe ich auch so. Auf Hühneraugenhöhe.

Jürgen Bürger: »Ich bin diese Pseudo-Verleger, die oft noch nicht mal gute Unternehmer sind, so satt.«

Apropos Urheberrecht – wieso handhaben wir’s nicht z.B. wie die
Fotojournalisten bzw. Berufsfotografen? Ich räume einem Verlag ein
Nutzungsrecht für einen bestimmten Zweck ein (Erst-Veröffentlichung,
meinetwegen auch noch Zweitveröffentlichung als Taschenbuch, natürlich
gegen angemessen Beteiligung). Alles weitere – Lizenzverkauf, Rundfunk-
und Fernsehrecht usw. usf., eben die Nebenrechte – bleiben zukünftig bei
mir und werden bei Bedarf gegen Bares gegeben. Ich glaube, ich werde
das in Zukunft verschärft in Vertragsverhandlungen einbauen. Ich bin
diese Pseudo-Verleger, die oft noch nicht mal gute Unternehmer sind, so
satt. Wenn das Buch denn nichts als eine Ware wie Millionen andere ist,
dann will ich auch eine angemessene Bezahlung dafür. Es kann ja wohl
nicht sein, dass ausgerechnet unser Anteil an den Produktionskosten der
Ware Buch auf immerdar als Konstante dasteht, während inzwischen für
jeden Scheiß Stundenlöhne berechnet werden, von denen ich in meiner
Übersetzer-Persona nur träumen kann.

Peter Friedrich: Das wurmt natürlich, aber wir sind
nur unbedeutende Zulieferer, ökonomisch betrachtet, solange die gute
oder schlechte Übersetzung sich herzlich wenig auf den Verkaufserfolg
eines Buches auswirkt. Und hier sind schon die »nachfolgenden Medien«
gefragt, die Existenz des Übersetzers überhaupt mal in den Blickpunkt zu
rücken. Denn, wie du treffend gesagt hast, eine wirklich gute
Übersetzung merkt man daran, dass man sie nicht merkt. Aber mit
Namensnennungen ist es nicht getan. Da müsste sich schon am Bild des
literarischen Übersetzers in der Öffentlichkeit etwas ändern. Dass er
eben etwas ganz anderes tut, als nach irgendeiner Formel eins zu eins
von Sprache A nach Sprache B umzurechnen. Packen wir’s an.

Susanna Mende: Beim Thema
»Nachhaltigkeit« der Verlage im Umgang mit Übersetzern muss ich Pieke
aus ganzem Herzen zustimmen. Es ist wirklich unverständlich, wie ein
Verlag, der mit einem Übersetzer gute Erfahrungen gemacht hat, beim
nächsten Mal trotzdem zu einem »Billiganbieter« greift. Es war sogar
einmal der Verleger selbst, der zu mir gesagt hat »entweder man hat mit
einer Übersetzung noch drei Tage Arbeit oder fünf Wochen«. Und aus einer
schlechten Übersetzung kann man nie eine gute machen, trotz vieler
unbezahlter Überstunden von Lektoren.

Susanna Mende: Solange wir den Dumpingpreisen von »Billiganbietern« ausgesetzt sind, wird es nur Einzelnen gelingen, würdig davon zu leben.

Was eine Verbesserung der Honorierung angeht, bin ich nur gedämpft
optimistisch. Da liegt noch ein harter und steiniger Weg vor uns. Mit
der Urheberrechtsnovellierung ist ein Anfang gemacht, aber den
Gesprächen mit Verbandskollegen, die sich dafür mächtig ins Zeug gelegt
haben, entnehme ich, dass die Übersetzer eine Art Lobbyarbeit machen
müssen. Leider sind wir nicht so mächtig, wie die Agrarverbände (vom
Lesen schlechter Übersetzungen bekommt man nun einmal keinen Dünnpfiff,
sonst wäre längst ein Verbraucherschutz für Leser fällig). Ansonsten
gilt eben das Gesetz von Angebot und Nachfrage, und solange wir den
Dumpingpreisen von »Billiganbietern« ausgesetzt sind, wird es nur
Einzelnen gelingen, würdig davon zu leben.

Innerhalb dieses gedämpften Erwartungshorizonts habe ich persönlich
allerdings einen kleinen Sprung nach vorne gemacht, seit ich von einem
Agenten betreut werde (seit Anfang des Jahres gibt es nämlich die erste
deutsche Agentur für Literaturübersetzer). Meine Lebensqualität hat sich
merklich verbessert, seit ich nicht mehr persönlich mit Verlegern über
Geld reden muss – und, siehe da, die vertragliche Situation ebenfalls.

Krimi-Couch: Einige Schwarze
Peter haben Sie jetzt schon verteilt – doch woran kann der »normale
Leser« überhaupt merken, ob es sich bei dem, was er gerade liest, um
eine gute Übersetzung handelt, wenn er nicht gerade das Original zur
Hand hat? Was ist, wenn der Stil im Original schon zu wünschen übrig
ließ? Darf oder muss ein Übersetzer aus schlechtem Englisch (Spanisch,
Französisch, Italienisch) gutes Deutsch machen?


Jürgen Bürger: Darf er? Muss er?
Zunächst mal: Dürfen wem gegenüber? Darf man es dem Autoren des
sprachlich eher schlechten Originals gegenüber oder ist man dem
zukünftigen Leser der Übertragung »gutes Deutsch« schuldig?

Könnte ja sein, dass das, sagen wir, schlechte Englisch absichtlich
schlechtes Englisch ist. Dann darf der Übersetzer nicht, finde ich. Zum
Beispiel würde sicher manch einer sagen, dass die Sprache von Victor
Headleys Yardie-Romanen schlechtes Englisch ist – weil die Akteure
nämlich überhaupt kein »gutes Englisch« sprechen können! Ich habe das
damals so gelassen. Meine Übertragungen sind kein gutes Deutsch. Wurde
mir auch in Kritiken vorgeworfen. Aber: Für mich war das ein fester
Bestandteil der (literarisch gesehen: guten) Romane.

Ich bin nun kein Literaturwissenschaftler, daher fehlt mir die
Terminologie; sag ich’s mal mit meinen ungebildeten Worten: Man merkt
doch, ob und wenn ein Autor erzählen kann; man erkennt, in welchem
Kontext »schlechte Sprache« stattfindet. Ist es Stilmittel, ist es
wichtig ob der Authentizität (Slang! Ich denke gerade auch an
afro-amerikanische Literatur aus den Siebzigern, angesiedelt im
Zuhälter- und Knast-Milieu …) oder ist es vielleicht gar nicht
wichtig, weil der erzählerische Impetus einfach da ist?! Wenn dann mal
ein Satz, eine Formulierung im Original in die Hose gegangen ist – das
passiert jedem, glaube ich, auch dem größten Romancier -, dann
»korrigiert« der Übersetzer so was – ggf. und vorzugsweise nach
Rücksprache mit dem Autoren

Tja, und dann sind da solche Bücher, bei denen weiß man, dass mehr
fehlt als nur eine formale Beherrschung der Quellsprache. Da fehlt das
erzählerische Talent, die Inspiration, das magische Händchen, eine
Geschichte von A bis Z erzählen und im Kopf des Lesers eine Welt, ein
Universum entstehen lassen zu können. Okay, ich höre den Einwand. Dies
Urteil ist natürlich ein subjektives. Um so was dann stilistisch und
sprachlich in »gutes Deutsch« zu trimmen, ist weniger übersetzerisches
Geschick erforderlich als vielmehr echtes erzählerisches Talent. Da
frage ich mich aber, was das dann noch mit »Übersetzen« zu tun hat. Ist
dann eher wie beim Film: »Basierend auf einer Idee von xyz.«

Jürgen Bürger: »Gelange ich zu dem subjektiven Urteil, dass in einem «schlechten» Buch zumindest eine originelle Idee steckt, die es wert ist, gelesen zu werden, bin ich bereit, sprachlich zu feilen.«

Will’s mal so sagen: Gelange ich zu dem subjektiven Urteil, dass in
einem »schlechten« Buch zumindest eine originelle Idee steckt, die es
wert ist (schon wieder!), gelesen zu werden, bin ich bereit, sprachlich
zu feilen. Wenn nicht, dann nicht. Das geht dann aber auch wie von
selbst – beim Prozess des Übersetzens führt der Ur-Autor quasi des
Übersetzers Händchen …Man hört ja bisweilen, dass es nicht wenige
Übersetzungen gibt, die »besser« sind als das Original. Kann schon sein.
(Andererseits: Wenn ein Verlag eine Lizenz einkauft, muss der/die
Verantwortliche wissen, warum er/sie das macht. Wenn’s denn ein
»schlechtes Buch« ist, soll’s ruhig auch in der Übertragung ein
schlechtes Buch bleiben. Diese Verantwortung ist nicht die des
Übersetzers – er kann allerdings so einen Auftrag ablehnen.)

Woran der »normale Leser« überhaupt merken kann, ob es sich bei dem,
was er gerade liest, um eine gute Übersetzung handelt, wenn er nicht
gerade das Original zur Hand hat? Da möchte ich an Piekes frühere
Antwort erinnern – wenn’s wirklich richtig gut ist, dann merkt’s keiner.
Der Leser bleibt nicht »hängen« an holprigen Sätzen und schiefen
Bildern …Auch eine gewisse Zeitlosigkeit zeichnet m.E. eine gute
Übersetzung aus. Erika Fuchsens Mickey Maus-Übersetzungen. Eher weniger
gelungen sind solche Übertragungen, bei denen man das Gefühl hat, arg
angestaubtes Zeugs zu lesen – viele Krimiübersetzungen aus den 50er und
60er Jahren sind so.

Peter Friedrich: Das Dilemma, das dem
Leser eine gute Übersetzung eben nicht auffallen darf, wurde ja schon
mehrfach angesprochen. Was er bemerken kann, ist das erzählerische
Talent des Übersetzers, das dieser natürlich in den Dienst des Originals
stellen muss. Meistens ist das ein Drahtseilakt.

Ob man ein stilistisch mäßiges Original werkgetreu übersetzen muss
oder darf oder lieber »besserschreibt« ist eine gute Frage, doch nur im
Einzelfall zu entscheiden. Aus aktuellem Anlass: Würde man Stefan
Effenbergs Biografie bei der Übersetzung stilistisch verbessern wollen?
Aber wenn ein Verlag sich davon höhere Absatzzahlen verspricht, steigen
vermutlich die Tantiemen für Autor und Übersetzer und alle sind
glücklich. Übrigens funktioniert die Sache auch in die andere Richtung.
Ein englischer Autor hat mir erzählt, dass seine Romane für den
amerikansichen Markt stilistisch vereinfacht wurden, weil irgendjemand
anscheinend herausgefunden hat, dass der durchschnittliche amerikanische
Leser einen geringeren Wortschatz hat als der englische.

Jürgen Bürger: Zumindest in meinen
Verträgen findet sich irgendwo immer ein Passus wie: » …Der Übersetzer
verpflichtet sich, die Urheberpersönlichkeitsrechte des Originalautors
zu wahren.« Und: » …Der Übersetzer verpflichtet sich, das Werk ohne
Kürzungen, Zusätze und sonstige Veränderungen gegenüber dem Original in
angemessener Weise zu übertragen.«

Nun lässt sich zwar munter darüber debattieren, was genau »in
angemessener Weise« bedeutet, allerdings hab ich’s irgendwie mit den
»Urheberpersönlichkeitsrechten«. Und das bedeutet, dass ich zunächst mal
ein Werk so nehme, wie ich es zur Übersetzung vorgelegt bekomme. Der
Autor wird sich schon was dabei gedacht haben, wie er mit Stil und
Sprache umgeht. Also beharre ich erst mal darauf, das Ding im Deutschen
so originalgetreu es eben geht zu bringen. Dies schließt eine
sprachliche wie stilistische »Vereinfachung« aufgrund von Mutmaßungen
irgendwelcher Leute (Verleger, Lektoren) über den vermeintlichen oder
tatsächlichen Wortschatz u.ä. der avisierten Leserschaft aus.

Von einem Kollegen weiß ich, dass es gleichwohl auch in Deutschland
Verlage gibt, die erheblichen Wert auf Vereinfachung legen. Tja, damit
hat man dann als Übersetzer Diskussionsstoff mit dem Lektorat, denn die
Welt ist Gott sei Dank nicht immer so stromlinienförmig glatt poliert,
wie’s manche Verdummungsindustrie gern hätte …
Peter Friedrich: Was das Vereinfachen
angeht, bin ich ganz deiner Meinung. Aber was ist, wenn der »schlechte«
Stil des Originals nicht selbst ein Stilmittel ist? Ich könnte mir
vorstellen, dass ich mich dem Autor gegenüber verpflichtet fühlen würde,
das in gutes Deutsch zu übertragen. Zu seinem wie meinem Vorteil.
Vielleicht ist es ein unglaublich guter Plot, um den es einfach schade
wäre. In Absprache mit dem Autor hätte ich da keine Probleme. Das mit
dem »schlechten Stil« würde ich allerdings etwas diplomatischer
verpacken.

Pieke Biermann: »Normale Leser« merken
überhaupt nicht, ob ein Übersetzer »einen Mord begangen oder bloß eine
Leiche fotografiert hat« (Tucho über die Goyertsche
Joyce/Ulysses-Übersetzung). Die WOLLEN auch nur merken, ob ein Buch gut
oder schlecht ist. Zurecht. Aber da gehen bekanntlich die
Oszillationsfächer auf. Und viel, viel ist subjektiv. Soll auch so sein.
Deshalb ist ein »normaler Leser« noch lange kein dummer Leser.

Zur zweiten Frage: Ich seh das genau so wie Jürgen und Peter. Ich
bin geradezu nibelungentreu, glaub ich. Im Guten wie im Schlechten – ich
finde,der/die AutorIn hat schlicht das Recht, als das wiedergegeben zu
werden, was er/sie »ist«. Gilt zunächst mal für alle literarischen
Texte, ob die nun wirklich Literatur sind oder als solche gemeint, aber leider gescheitert sind. Heißt wiederum: Ich muss
dahinter verschwinden. Um mich geht es nicht. Ich bin bloß eine Art
Katalysator. Allerdings einer, von dem Kreativität, Improvisationskunst
und vor allem ein unerschöpfliches Gefühl für die eigene
Sprache verlangt wird. Ich gebe allerdings bei aller Nibelungentreue zu:
Ich morde gelegentlich gern ein bißchen weiter an einer Leiche herum …
Die Sache mit der Dialektik von Treue und Freiheit hat aber auch
eine herrliche, heitere Seite. Ich übersetze zum Beispiel am liebsten
Literatur, die kniffelig, weil sprachverspielt, umgangssprachlich bis
slangig, dreckig, witzig ist, also eigentlich nicht
übersetzbar. Da kommt’s oft vor, dass ein Witz an einer Stelle partout
keine Entsprechung hat auf Deutsch – ich merke mir dann sozusagen, dass
ich »noch einen gut« habe und plaziere einen Witz, wo der Urtext gar
nicht so witzig ist. Einfach, damit die Witz-Quantität identisch
bleibt – also ihre qualitative Bedeutung behält.

Und dann hätte ich viertens noch eine widerliche Weiterung des Themas anzubieten: Ich persönlich
weiß, dass ein deutscher Dialog, der »ich schätze, ich gehe jetzt
besser nach Hause« enthält, nur in homöopathisch bemessenen
Ausnahmefällen eine gute Übersetzung sein kann. In 99,9% der Fälle ist
er TV-Serien-»deutsch« und erhöht meinen persönlichen Magensäurespiegel.
Aber mit wie vielen Deutschen teile ich sowas eigentlich noch?

Susanna Mende: Ich bin in der
Zwischenzeit zwiespältig geworden, was die »Unauffälligkeit« von
Übersetzungen angeht. Was macht man, wenn nun im Original der Text
sperrig ist und gerade darin seine stilistische Eigenheit liegt (immer
unter der Voraussetzung, dass sie auch trägt), wenn absichtlich schiefe
Bilder durch ungewöhnliche Metaphern entstehen? Erst einmal ist es eine
Leistung des Übersetzers, das zu erkennen, und dann muss er sich
überlegen, wie er das ins Deutsche bringt und damit rechnen, dass er von
Rezensenten eins auf den Deckel bekommt.

Was die Zeitlosigkeit angeht, lieber Jürgen, möchte ich Dir sogar
widersprechen. Zugespitzt formuliert, behaupte ich, dass es eine
zeitlose Übersetzung gar nicht geben kann, weil wir immer aus unserem
aktuellen Sprachverständnis, Kulturverständis etc. heraus übersetzen.
Das ist m.E. nicht zu unterschätzen. Bestimmt kann man
kultur/sprachhistorisch begründen, warum Dostojewskis Roman mit »Schuld
und Sühne« übersetzt wurde und in der aktuellen Übersetzung »Verbrechen
und Strafe« heißt.

Natürlich zieht es mir auch die Schuhe aus oder reizt zum Lachen,
wenn ich frühe Übersetzungen von Chester Himes lese. Kritik ist da
durchaus angebracht, aber die Übersetzer mussten erst einmal lernen, mit
dem immensen Zuwachs von Slang und spezifischen Dialogformen etc.
umzugehen.

Ich finde es geradezu selbstverständlich, dass es immer wieder
Neuübersetzungen der sog. klassischen Werke gibt (ich persönlich würde
mich gerne mit ein paar Theaterstücken von Calderón de la Barca auf eine
einsame Insel zurückziehen; natürlich nur mit Internetzugang, wegen der
Recherchen).

Wie subjektiv die Wahrnehmung von Text sein kann, habe ich in der
Übersetzerwerkstatt erfahren, wo ich mit einem Dutzend Kollegen an
Übersetzungen gearbeitet habe. Es war manchmal fast beunruhigend, was
zugleich als gelungen und misslungen empfunden wurde. Und die
Begründungen haben gezeigt, welche Abgründe sich zwischen den einzelnen
Konnotationsfeldern auftun.

Interessant war für mich außerdem, festzustellen, wie
unterschiedlich Kollegen an Texte herangehen. Ich habe zwei Extreme
ausgemacht: einmal die Strukturalisten, dann die Lexikalisten. Ich
versuche eine kurze Definition: Strukturalisten schauen sich das
Gesamtwerk an und versuchen, drei, vier wesentliche Merkmale
herauszufiltern, die charakteristisch sind und eine Art Grundlage für
den Stil der Übersetzung bilden (es ist z.B. bestechend, wie man mit
kleinen Eingriffen Dialoge von Tempo 30 auf Tempo 70 bringen kann, falls
erforderlich). Dann gibt es die, die sich an den einzelnen Begriffen
entlanghangeln und das Stilbildende mehr von der lexikalischen Seite
konstruieren. Beides kann zu guten Ergebnissen führen. Ich zähle mich
selbst eher zu den Strukturalisten. Ich finde, ich habe mehr Freiheiten;
die Bewegungen vom Text weg, um in der Übersetzung wieder ganz nah an
seinen Gehalt zu kommen, sind größer. Wie das dann vom Leser
wahrgenommen wird, tja …
Die Urteilskraft von Rezensenten halte ich deshalb für fragwürdig,
weil sie häufig das Bedürfnis haben, ihre eigene Sprachkompetenz unter
Beweis zu stellen, wenn sie sich dann der Übersetzung annehmen. Das
endet meist damit, dass sie nach einem verhaltenen Lob eine x-beliebige
Stelle herausgreifen und einen Alternativvorschlag zur Übersetzung
machen. Na, vielen Dank! Das hilft weder dem Leser der Rezension noch
dem Übersetzer weiter.

Krimi-Couch: Wie hat man sich
eine Übersetzung bei Ihnen vorzustellen? Lesen Sie erst das Buch im
Original und hangeln sich dann von Satz zu Satz durch? Oder muss man gar
mehrere Werke des Autors lesen, um den Stil herauszufiltern? Helfen
persönliche Kontakte zum Autor?

Peter Friedrich: Das Wichtigste an
einer Übersetzung ist, dass man so etwas wie den »Geist« des Originals
rüberbringt. Im Idealfall würde ein perfekter Zweisprachler bei der
Lektüre von Original und Fälschung einen identischen Eindruck gewinnen.
Deshalb lese ich das Original natürlich zuerst komplett durch und
versuche, ein Gespür für diesen »Geist« zu bekommen. Wenn mögliche, lese
ich auch andere Texte des Autors im Original, aber nie andere Übersetzungen. Zu manchen Geschichten kriege ich trotz aller Bemühungen keinen Draht und von denen lasse ich die Finger.

Während des ersten Durchlesens läuft anscheinend irgendwo in meinem
Hinterkopf eine Art Übersetzung mit, die ich nur dann wahrnehme, wenn
mich plötzlich eine besonders passende Formulierung anspringt. Die
schreibe ich sofort auf, denn sonst ist sie unwiederbringlich weg wie
ein Traum nach dem Aufwachen, und genau an solchen Stellen habe ich dann
später die größten Mühen gehabt.

Gleichzeitig streiche ich Punkte an, wo Recherchen notwendig sind,
außerdem Fehler und Undeutlichkeiten im Original (wo z.B. schlecht
lektoriert worden ist) und vor allem die Stellen, in die der Autor
offensichtlich sein ganzes Herz gelegt hat und denen ich besondere
Sorgfalt widmen muss. Und jene beim Drehbuch »Plot-Points« genannten
Wendepunkte der Geschichte, die für Erzählfluss und Dramaturgie so
wichtig sind.

Nach den Recherchen und nachdem ich mit dem Autor (so das möglich
ist) über offene Fragen konferiert habe, gehe ich den Text noch einmal
zur Gänze durch, bis ich ihn völlig verstanden und quasi verinnerlicht
habe. Die Rohübersetzung läuft ziemlich schnell, mit etwa zwanzig Seiten
pro Tag. Dann aber weg mit dem Text, mindestens zwei, besser vier
Wochen lang, damit ich ihn soweit wie möglich wieder vergessen kann. Die
alte Geschichte vom Wald und den Bäumen. In dieser Zeit schreibe ich
dann meistens an eigenen Geschichten und Drehbüchern.

Die Rohübersetzung bearbeite ich zunächst, ohne das Original nochmal
zur Hand zu nehmen, bis Fluss und Rhythmus ins sich stimmig sind und
mit der Erinnerung an das Original korrespondieren. Anschließend wird
der Text ausgedruckt und an ein paar Leute verteilt, die an unstillbarem
Lesehunger leiden. Meistens kommen die Masnuskripte nach etwa einer
Woche zurück. Inzwischen habe ich etwas Abstand gewonnen und arbeite
Korrekturen und Kritiken ein, präzisiere Unverstandenes etc.

Erst danach lege ich die Übersetzung wieder an das Original an und
versuche, die Harmonie zwischen beiden herzustellen. Das kann sich
mehrfach wiederholen, denn zufrieden bin ich eigentlich nie. Ich weiß,
dass ich aufhören muss, wenn ich irgendwann feststelle, dass ich zu
einer früheren Version zurückgekehrt bin. Und sobald das Manuskript in
der Post ist, falle ich in ein tiefes Loch. Keine Ahnung, warum.

Pieke Biermann: Ich seh das mit dem
Geist ja auch so wie Du, Peter. Ich hab allerdings am Anfang einen
Schuss Galle diesbezüglich zu verdauen gehabt. Meine allererste
Übersetzung war nämlich eine Katastrophe, wofür ich mich heute noch
entschuldige beim Herausgeber, der das alles auszuputzen hatte. Ich war
23, hockte in Italien mang de Revoluzzers und brauchte Kohle, dieweil
ich zwei Menschen durchbringen mußte. Nein, Kinder hab ich keine, aber
ich war öfter als feministically correct LOK-Führerin (LOK = Lover Ohne
Kohle, vulgo: Studenten, Künschtler). Zu diesem Zeitpunkt sollte ein
politisch überkorrektes Werk meiner damaligen Bezugsgruppe aus dem
Italienischen ins Deutsche übertragen werden. Es handelte sich, nüchtern
gesagt, um ein Werk der Industriesoziologie, enthielt schon im Titel
lauter Komposita, die mit »Klassen-« anfangen, und blieb im Prinzip auch
derart »klassisch«. Es ging um dito Kämpfe bei Fiat und Olivetti unter
besonderer Berücksichtigung der Umstruktierung von Fließbändern in
Produktionskarusselle und so weiter. Echt geiler Stoff – ehrlich,
damals. Ich hatte den »Geist« des Ganzen quasi im Leibe. Allein, mir
fehlten praktisch 80% des Wortschatzes für so etwas in meiner »eigenen«
Sprache. Und – kein Geist ohne Sprache.

Möglicherweise hatte das Ganze auch damit zu tun, dass ich
vorübergehend meine »eigene« Sprache großzügig ad acta gelegt hatte –
ich lebte (liebte, arbeitete, träumte) in einer anderen.
Paradoxerweise war unter den wenigen Büchern, die ich aus Deutschland
mitgenommen hatte, auch »Das Kapital« von »il vecchio barbuto«, wie olle
Marx da unten genannt wurde. Ich dachte, das kann praktisch sein –
meine italo-revoluzzo-Schätzchen waren nicht so ganz zitatfest bzw. präzis …

Pieke Biermann: »Ich vermute, dass ich tief im Unterbewußtsein eine Art linguistischer Schizophrenie abgespeichert habe.«

Ich konnte nicht damit rechnen, dass ich mich irgendwann beim schlichten lesen des Werks ertappte und schlimmer noch: am politisch völlig unerlaubten genießen
gewisser sehr sprachgewaltiger deutscher Zeilen. Ich hab mich amüsiert
wie Bolle. Die »breimäuligen Faselhänse der deutschen Vulgärökonomie«
haben sich seitdem tief in mein Hirn eingegraben. Was all diese
Paradoxien zu bedeuten hatten, blieb mir lange undeutlich. Aber ich
vermute, dass ich seitdem tief im Unterbewußtsein eine Art
linguistischer Schizophrenie abgespeichert habe. Mir geht es nämlich wie
Dir, Peter – ich brauche immer zwei Schreibphasen bei einer
Übersetzung: eine Rohfassung, die schlicht unlesbar ist (mit Löchern
bzw. Originalsprach-Brocken, Syntax nicht vorhanden, Hauptsache, alles
is drin), und eine kommunikable. Dazwischen eine Pause. Bei der ersten
Phase kann es soweit gehen, dass ich englisch (italienisch) träume – bei
der zweiten darf mir das nicht mal im Traum einfallen.

Das gilt für Texte, die ich ernst nehme. Nicht dass ich nicht jeden Text ernst nehmen möchte,
aber leider entpuppen sich etliche dann leider doch schnell als
Geblubber mit viel Ambition und wenig Substanz. Ich erkenne das daran
(meistens schon vorher – aber man immt ja gern hin und wieder mal eine
leichte Arbeit für vergelichsweise gutes Geld), dass ich da mit einer
einzigen Phase auskomme.

Susanna, Du hast natürlich auch völlig recht mit dem Zweifel an
Zeitlosigkeit – es gibt keine Sprache ohne Kontext. Trotzdem hat man als
Übersetzer daran zu knacken, den »Zeitgeist« eines Originals irgendwie
kompatibel für die Zeitgenossen eines anderen Sprachraums, manchmal auch
Zeitraums zu machen. Bei Walter Mosleys »Socrates Fortlow«- Geschichten
zum Beispiel hab ich versucht, eine Art ideellen
Gesamt-Umgangssprachenton zu erfinden, der gleichzeitig jeden »hohen
Ton« und jeden Hauch von »kuckma wie da Nigga quatscht!« Es gab
glücklicherweise viel Dialog – Dialog rettet eine/n, da ist
Schreiben-wie-Gesprochen oft schon die halbe Atmo. Bei Liza Codys »Gimme
More« gibt’s eine wunderbare Bandbreite von Sprechweisen und
Perspektiven, die nicht unbedingt punktuell, aber insgesamt ziemlich
identisch ist im Englischen und Deutschen.

Mit den AutorInnen reden gehört zu meinen absoluten
Lieblingsbedingungen! Mit Liza hab ich vier Tage zusammengehockt und
auch hinterher manches austelefoniert. Walter hat leider jegliche
Kommunikation verweigert. Er war seinerzeit auf dem Höhepunkt seiner
Divenhaftigkeit, wozu auch gehört, dass man den deutschsprachigen
Buchmarkt unterschätzt, rein finanztechnisch …Aber mir macht’s auch
großen Spaß, mir für alles, was nicht »mein Beritt« ist, Fachleute zu
suchen und mit denen zu reden. Ich quackel halt gern, und die meisten
Leuten mit Spezialkenntnissen freuen sich ein Loch in die Mütze, wenn
mal jemand ihr Wissen haben will und schätzt. Und manchmal hat man damit
wieder ein paar »buchferne« Menschen an der Entstehung von Literatur
beteiligt – und womöglich zu Lesern (und Käufern) gemacht. Kleine Utopie
am Rande.

Susanna Mende: Lieber Peter, ich
staune wirklich über die 20 Seiten Rohübersetzung, das habe ich bisher
noch nie geschafft. Bisher waren es höchstens zehn. Aber das ist auch
nicht so wichtig.
Das mit dem »spirit« stimmt, das hat sehr viel mit Intuition und
Sprachgefühl (in der eigenen Sprache) zu tun. Und dazu braucht man
natürlich auch ein Gefühl für die fremde Sprache, für die Ebene, das
Tempo, das Unterschwellige etc.

Ich stelle immer wieder fest, dass ich 20-30 Seiten brauche, um den
Rhythmus zu finden. Deshalb widme ich in der Überarbeitungsphase dem
Anfang besonders viel Zeit, der holpert meist mehr. Und für die
Übersetzung gilt dasselbe wie für das Original: Der Leser muss von
Anfang an vom Text gepackt werden.

Wenn ich mich mit einem neuen Autor beschäftige, konzentriere ich
mich erst einmal auf das Buch, das ich übersetzen soll. Erst später
(manchmal erst während der Übersetzung) lese ich andere Bücher, falls
vorhanden. Das gehört einfach dazu, finde ich. Obwohl das für die
Übersetzung direkt nicht unbedingt hilft. Manche Autoren wechseln ihren
Stil mit jedem Buch.

Susanna Mende: »Spannend finde ich es, wenn mich ein Roman zwingt, mich mit einem Thema zu beschäftigen, das ich nicht kenne.«

Spannend finde ich es, wenn mich ein Roman zwingt, mich mit einem
Thema zu beschäftigen, das ich nicht kenne. Einmal musste ich mich mit
der Stadt San Francisco vertraut machen. Ich hatte die ganze Zeit einen
Stadtplan und diverse Reiseführer auf meinem Schreibtisch liegen. Und
nachdem ich die Übersetzung abgegeben hatte, wollte ich unbedingt nach
San Francisco reisen, was mir leider bis zum heutigen Tag nicht gelungen
ist.

Eine Herausforderung sind Dialoge. Die lese ich immer wieder laut
vor mich hin. Da darf man nicht hängenbleiben, die müssen sehr dynamisch
sein. Und Wort- und Sprachspiele. Die Lösung dafür kann man nicht
erzwingen, damit beschäftige ich mich manchmal erst nach getaner
(handwerklicher) Arbeit, später am Abend, bei einem Glas Wein, wird mit
Begriffen jongliert, werden Assoziationsketten gebildet, da herrscht
manchmal Dada im Kopf. Und dann der Moment, wenn man die Lösung hat und
weiß, das ist es!

Krimi-Couch: Bei dem Aufwand, den
Sie gerade schildern, macht es da nicht generell Sinn, wenn ein Autor
von immer derselben Person übersetzt wird, vergleichbar mit den
Synchronstimmen der Filmgrößen?


Pieke Biermann: Die Frage läßt sich
mit einem herzhaften JEIN beantworten. Ja – wenn der/die Autor/in »sich
lohnt«: spannend bleibt, Spaß macht, eine fruchtbare Herausforderung
darstellt und es einem/r »dankt«. Nein – weil man sich von öden
Beziehungen auch wieder lösen dürfen sollte. Ich vermute, es gibt in
maximal 20% aller Fälle richtig sinnvolle »Paarungen«, möglichst
lebenslänglich. Auch die funktionieren aber nur, wenn ÜbersetzerInnen
nicht heimlich ihre eigenen Werke draus machen …
Peter Friedrich: Da stimme ich Pieke
voll und ganz zu und denke dabei an Erwin Magnus, der praktisch alle
Werke von Jack London in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts ins
Deutsche übertragen hat. Und so haben Generationen von Deutschen nie
eine adäquate Übersetzung zu lesen bekommen und eine solche ist auch
nicht in Sicht.

Susanna Mende: Ich bin noch nicht so
lange im Geschäft, um aus eigener Erfahrung sprechen zu können.
Ansonsten trifft Pieke mit der beschriebenen Ambivalenz, glaube ich, den
Kern. Es ist allerdings eine schreckliche Vorstellung, dass man das
zweite, dritte oder vierte Buch nur deshalb nicht übersetzt, weil es zum
Beispiel bei einem anderen Verlag erscheint; wenn es einem sozusagen
weggenommen wird, und man kann nichts machen.

Es spielt natürlich auch eine Rolle, welche persönlichen Erfahrungen
man mit dem Autor/der Autorin macht. Ist er/sie kooperationsbereit,
versteht er/sie die Schwierigkeiten der anderen Sprache (ist nicht immer
der Fall), hat man Spaß mit ihm/ihr auf Lesereisen etc.

Mir ist übrigens aufgefallen, dass Übersetzer einen ganz
unterschiedlichen Umgang mit ihren Autoren haben. Ich konsultiere meine
bei schwierigen Fragen so oft wie möglich. Es gibt Kollegen, die sagen,
was kümmert mich der Autor, ich habe hier vornehmlich mit dem Text zu
tun, was ich in gewisser Weise auch legitim finde, solange sie sich
redlich um den Text bemühen.

Krimi-Couch: Frau Biermann,
Sie übersetzen nicht nur, sondern sind selbst erfolgreiche Krimi-Autorin
(drei Deutsche Krimi-Preise). Wie ist es denn für eine Autorin, wenn
die eigenen Werke übersetzt werden?

Pieke Biermann: GAAANZ SCHLIMM!!! Weil man als Übersetzerin für die »Gegenseite« eine totale pain in the ass ist. Sein muss.
Man kennt schließlich die Tricks, man weiß, was alles dann eben doch
geht (wenn man nur genug Interesse, Sprachbeherrschung, Kreativität
hat). Es gibt für Übersetzer eben kein »eigentlich unübersetzbares«
Buch! Und an der Stelle kann die Autorin die Übersetzerin in sich nicht
abkoppeln. Da leiden beide wie Hund!

Die Sache steht und fällt also, wie üblich, mit dem Verlag der
anderen Sprache. Hat der Verleger überhaupt Interesse an und Sinn für
gute Übersetzung? Ist er bereit, dafür jemanden notfalls gründlicher zu
suchen und zu bezahlen? Im Zweifelsfall auch ausführliche Kommunikation
zwischen Ü. und A.? In 99.9% der Fälle – NEIN.
Es geht dann weiter: Hat der/die ÜbersetzerIn Interesse und Sinn?
Ich meine ganz schlichte Dinge – meine zweite Italienisch-Übersetzerin
hatte nicht mal einen Stadtplan von Berlin, geschweige denn war sie je
hier gewesen. Sie fand das auch nicht nötig. Was soll man da erwarten?
(Der Verlag hat übrigens die erste, deren 20 Testseiten ich bekam,
feuern müssen – sie war grandios: für englische Landprosa des
neunzehnten Jahrhunderts.)

Meine Französisch-Übersetzerin hat wohl ganz brauchbar übersetzt,
ich kann das nicht selber beurteilen. Habe aber von
Französisch-LeserInnen gehört, dass die gelacht haben beim Lesen. Dass
meine Romane was mit Witz zu tun haben, hat sie also wohl begriffen. Ist
es dann wirklich wichtig, dass sie sich als notorische, programmatische
Fernseh- und überhaupt Alltagsbanalitätenverweigererin gefällt?

Pieke Biermann: »Das Ergebnis kann, wer partout ein Aspirin-Abo verfuttern will, nachlesen. Ich bin lieber gar nicht auf einem Buchmarkt als in total schiefer Gestalt.«

Das mit dem Witz ist eine Crux. Mein englischer Verleger ist dran
gescheitert. Für den war das zuviel – Kriminales aus Deutschland,
obendrein von einer Frau geschrieben und dann auch noch Witz? Nee! Er
wußte auch genau, wie man in Sekundenschnelle potentiellen englischen
Buchverkäufern klarmacht, dass ein Buch aus Deutschland kommt: Man tut
ein Hakenkreuz aufs Cover. Ich konnte ihn immerhin zur Verkleinerung
desselben erpressen. Dem hatte ich übrigens angeboten, selbst
mitzusuchen, was den/die ideale/n ÜbersetzerIn angeht. Wir waren uns
einig, dachte ich, dass es vielleicht am besten jemand ist, der/die
Berlin kennt und den spezifischen Berliner Witz kann – zum Beispiel eine
jüdische Emigrantin in New York. Es gab die. Die wäre zu haben gewesen. Aber die wollte er nicht – es gehe um den britischen
Markt, nicht den US-amerikanischen. Was findet er? Eine richtig liebe
gebürtige Österreicherin, deren Englisch ausschließlich kalifornisch
geprägt ist, deren Leidenschaft Frauen sind, die Lesbenbewegung, das
Reisen in ferne Länder. Herrlich – wo’s hinpasst. Aber bis nach Berlin
hatte sie’s auch nie geschafft – und man muß ja auch nicht unbedingt
verballhornte Schopenhauer-Zitate identifizieren können …Gut, die
wirklich liebe Frau wurde auch entbunden. Danach kam ein Crack dran. Ein
hochqualifizierter toller Londoner Kollege, Spezialist für – Heiner
Müller und Peter Handke. Das Ergebnis kann, wer partout ein Aspirin-Abo
verfuttern will, nachlesen. Mehr als dieses eine Buch hat dieser
Verleger von mir nicht bekommen.

Das klingt unerträglich arrogant? Ja. Tut’s wohl.Vor allem, weil man
als deutschsprachige Autorin ja »eigentlich« vor Glück in die
Schleimspur gehen soll, dass man überhaupt übersetzt wird. Schließlich
kommt man aus einem Land, das in Sachen Literatur ein Importriese, aber
ein Exportzwerg ist. Ich tu’s trotzdem nicht. Ich bin tatsächlich lieber
gar nicht auf einem Buchmarkt als in total schiefer Gestalt. Und ich
ändere auch weder Enden, damit sie für irgendeinen Markt kompatibel
werden, noch nehme ich meinen Figuren die Zigaretten aus dem Mund. Man
hat schließlich eine Ehre – und das, übrigens, ist wahrscheinlich auch
immer noch die beste Definition für meine eigenen
Übersetzungsprinzipien: Ehre widerfahren lassen.

Jürgen Bürger: Zu diesem Thema und
dieser Runde möchte ich ein Zitat von Herrn Günter Grass beisteuern:
»Beim Schreiben kann ich keinerlei Rücksicht auf die Übersetzer nehmen,
wenn ich damit anfinge, würde ich in einer faden Allerweltssprache
schreiben, flach, geruchlos und geschmacklos.«

Krimi-Couch: Frau Mende, Herr
Bürger, Herr Friedrich: Fraglos gehört zu einer guten Übersetzung auch
eine gehörige Portion schriftstellerisches Talent, wie Sie bestätigt
haben. Warum schreiben Sie dann nicht selber Romane?


Susanna Mende: An dieser Frage merke
ich immer wieder, wie weit Übersetzen und Schreiben dann doch
auseinanderliegen. Sorry, aber ich verspüre nicht das geringste
Bedürfnis, selbst einen Roman zu schreiben (habe extra noch einmal in
mich hineingehorcht). Kleine Aufsätze und Kolumnen hin und wieder machen
Spaß, und dabei wird es wohl auch bleiben.

Die Affinität zum Übersetzen war hingegen schon immer sehr stark.
Als ich Spanisch lernte, habe ich parallel zum Spracherwerb
Romanpassagen von Büchern übersetzt, die ich einfach verstehen wollte.
Ich habe sofort gemerkte, dass mir das sehr gefällt.

Wenn Autorschaft, dann ganz anderer Art: über Fotos. Meine
spezifische Sicht auf die Welt würde ich, wenn überhaupt, über
Fotografie anderen mitteilen wollen; ich bin eine leidenschaftliche
Fotoguckerin, aber über das Hobbyknipsen bin ich – trotz inneren
Drangs – noch nicht rausgekommen.

Jürgen Bürger: Ausschließen möchte man
es nicht, das mit dem selber einen Roman schreiben. Allerdings habe ich
das Gefühl, meine »schriftstellerischen« Ambitionen und Aspirationen –
soweit überhaupt vorhanden – liegen weniger bei der längeren Prosa als
viel mehr bei der eher kürzeren Glosse und Satire; wenn ich die Zeit
dazu finde und der Kopf frei genug ist, dann verfasse ich durchaus mit
größerem Vergnügen Kommentare zum aktuellen Stand der menschlichen
(Tragi-) Komödie. (Übrigens bisweilen auch in fotografischer Form, liebe
Susanna. Ein faszinierendes Medium, von dem ich auch keine Ahnung habe
…)

Zumindest meiner laienhaften Meinung nach gehört zum literarischen
Schaffen mehr als die Fähigkeit, einigermaßen geschickt mit dem Wort,
der Sprache umzugehen; es braucht auch Inspiration und eine gewisse Form
von »Genie«, den zahlreich vorhandenen Variationen der immer weider
gleichen Grundthemen eine spannende neue Nuance hinzuzufügen. Ich hänge
die Messlatte ziemlich hoch, denn sehenden Auges würde ich kein
drittklassiges Zeugs produzieren wollen. Davon schwappt Monat für Monat
auch ohne mich mehr als genug auf den Markt …
Was mich nun aber daran erinnert, vielleicht in nächster Zukunft
zwei alte Gedanken aufzugreifen, die seit Jahren in einer Hirnwindung
schlummern: Nämlich zum einen ohne Verlagsauftrag einen von mir sehr
geschätzten Schriftsteller übersetzen, dessen Romane schon lange nicht
mehr auf Deutsch erscheinen, weil angeblich oder tatsächlich kein Geld
damit zu verdienen ist. Und dann liegt irgendwo in den Tiefen meiner
»Bibliothek« noch ein bislang unveröffentlichtes Romanfragment von
Charles Willeford …Whatever …
Peter Friedrich: Ich schreibe
Drehbücher. Auf die Weise bin ich auch zum Übersetzen gekommen. Immer,
wenn es mit eigenen Texten nicht weiterging, weil mich mal wieder dieser
grässliche leere Bildschirm anglotzte, habe ich ein paar Seiten
übersetzt und dann gings wieder. Therapie gegen Schreibblockade,
sozusagen. Anfangs keine bezahlten Aufträge. Aber irgendwann war ein in
Deutschland noch nicht erschienenes Buch komplett übersetzt – Brian
Lecombers ‘Letzter Looping’ übrigens, ein atemberaubend spannender
Thriller im Kunstfllieger-Milieu -, der Unionsverlag brachte es heraus
und seitdem übersetze ich regelmäßig.

Meinen ersten Roman – Krimi, was sonst … – habe ich gerade in
Spanien beendet, wo er auch spielt. Beim Schreiben hatte ich ein gutes
Gefühl, aber jetzt muss er erst mal ein paar Monate abhängen, bevor ich
sagen kann, ob er wirklich was taugt. Wäre natürlich schön, wenn er
demnächst auf der Krimi-Couch besprochen würde …
Krimi-Couch: Sehr gerne! Frau Biermann, Frau Mende, Herr Bürger, Herr Friedrich – vielen Dank für das Gespräch!
 

Die Diskussion moderierte Lars Schafft

Die Übersetzer:
Jürgen Bürger,

geboren 1954 im sauerländischen Halver,
lebt als Übersetzer in Köln und erlaubt sich immer noch den Luxus, der
einen oder anderen Utopie nachzujagen. Er übersetzt seit bald zwanzig
Jahren, zunächst fast ausschließlich Kriminalromane (u.a. von Adcock,
Beinhart, Oster und Vachss), später auch anderes (z.B. von Armstrong,
Epstein, Hitchens und jüngst Carey). Aus seiner Feder stammen u.a. die
Übersetzungen von Patrick Redmonds »Schützling«, »Der Tod des
Tango-Königs« und die Sidel-Romane von Jerome Charyn sowie Charles
Willefords Autobiographie »Ein Leben auf der Straße«.

Susanna Mende

geboren
1965 in Füssen/Allgäu. Spanischstudium in Salamanca, Studium der Hispanistik,
Germanistik und Kunstgeschichte in Hamburg, ein Semester in Madrid. Seit 1997
staatlich geprüfte Übersetzerin (Diplom). Im September 2002 hat sie den
Berliner Krimisalon ins Leben gerufen. Übersetzungen von Susanna Mende (u.a.):
Rosario Tijeras von Jorge Franco und Der
süße Duft des Todes von Guillermo Arriaga
.

» Mehr über Susanna Mende
auf www.susanna-mende.de

Pieke Biermann
geboren 1950 in Stolzenau, lebt
als freie Schriftstellerin und Übersetzerin in Berlin. Sie erhielt
bereits dreimal den Deutschen Krimi Preis, 1991 für »Violetta«, 1994 für
»Herzrasen«, 1998 für »Vier, Fünf, Sechs«. Sie übersetzt seit gut
zwanzig Jahren, zuerst mehr aus dem Italienischen, später mehr aus dem
Englischen. Übersetzungen von Pieke Biermann: Aus dem Italienischen
Stefano Benni und Dacia Maraini, aus dem Englischen Walter Mosley, Liza
Cody, und Dorothy Parker (Auswahl)
Peter Friedrich,
geboren 1956 in Caracas/Venezuela, dreisprachig
aufgewachsen, abgeschlossenes Studium der Theaterwissenschaften,
Ethnogeographie und Kunstgeschichte. Seit 1987 Drehbuchautor für Film
und Fernsehen, Übersetzer und Filmemacher. Peter Friedrich hat u.a. Drachenmann von Garry Disher, Gefrorene Sonne von Stan Jones und Nana Plaza von Christopher G. Moore übersetzt.
» Mehr über Peter Friedrich auf www.super-thriller.de

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