Der Sommer ist endlich da! Nachdem es nun auch das Wetter eingesehen hat… kann ich mich so langsam richtig auf den Urlaub freuen!
Natürlich darf dabei – zumindest für mich – auch das ein oder andere Buch nicht fehlen (ein Hoch auf den Kindle, dank dessen ich mich nicht schon zuhause entscheiden und Kilo an Papier mit mir rumschleppen muss!).
Auch wenn wir als Übersetzer und Dolmetscher täglich mit Wörtern zu tun haben, scheint es uns in der Mehrzahl doch nicht davon abzuhalten, uns auch in der Freizeit mit ebendiesen zu beschäftigen. Hier sind ein paar Vorschläge von Literaturübersetzern, für alle, deren Sommerlektüre noch nicht feststeht (gefunden auf www.intellectures.de):
Hinrich Schmidt-Henkel
Diesen
Sommer möchte ich ein Buch (zum mehrfachten Male wieder-) lesen, ein
Buch eines Autors, der auch ein produktiver Übersetzer war: Albert Vigoleis Thelens Die Insel des zweiten Gesichts
(Ullstein Buchverlage 2014). Dieser autobiografische Roman, zugleich
einer der großen Schelmenromane der Weltliteratur, handelt von den sechs
Jahren zwischen 1930 und dem Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs, die
Thelen und seine Frau auf Mallorca verbrachten, auf einem Mallorca, das
halb noch im 19. Jahrhundert lebte, halb ein Sammelsurium kurioser und
berühmter Gestalten seiner Zeit war. Hauptfigur ist das Erzählen und die
Sprache: Das Buch lebt aus Thelens unglaublicher Kunst des Abschweifens
und aus seinem unerschöpflichen Sprachreservoir – eine Lektüre par excellence für alle, die übersetzen oder sonstwie schreiben. Er verwendet alte, untergegangene und neu geschöpfte Wörter en masse und
zuhauf. Außerdem ist er ein Universalwissenschaftler (wenn auch im
bürgerlichen Sinne eine verkrachte Existenz) und ein großer Ironiker,
nicht nur gegenüber den Widrigkeiten des eigenen Daseins, die ihn und
Beatrice in die blanke Not treiben, sondern auch gegenüber allem
anderen, das Autorität beansprucht, Politik(er), Pfaffen, Bankiers. Ein
schwermütiger Leichtfuß, ein sprachgewaltiger Beschwörer der Tatsache,
dass alles – mindestens – noch ein zweites Gesicht hat und es »Wahrheit«
als solche nicht gibt.
Hinrich Schmidt-Henkel übersetzt aus dem Französischen, Norwegischen
und Italienischen ins Deutsche. Zuletzt erschien in seiner Übersetzung Tomas Espedals Wider die Kunst, Jean Echonoz’ Die Caprice der Königin und Raymond Queneaus Stilübungen (gemeinsam mit Frank Heibert; siehe unten). Er ist aktueller Träger des Eugen-Helmlé-Übersetzerpreises.
Bettina Boeck
Man
muss gar nicht an die Wichtigkeit von Dostojewskis Büchern glauben, um
die von Svetlana Geier angefertigten Übersetzungen als absolut treffend
zu erkennen. Die vorgestellten Figuren spielen natürlich eine Rolle.
Wenn zum Beispiel Arkadij Dolgoruki von der Adelspension spricht, oder
seine Spielsucht mit seinem Geldverlust zusammenprallt. Fjodor Dostojewskis Ein grüner Junge (Fischer
Klassik 2013) präsentiert Charaktere, keinen Plot. Aber wenn Svetlana
Geier einen Satz auflöst, der vom Leser eindeutig als Musik erkannt
werden muss, wird die Sache richtig interessant. Wie soll einer denn
einem Buch widerstehen, durch dessen Übersetzung er die eigene Sprache
neu gelernt? Hier wird kein Lesekonsum, sondern Leserkreativität
erwartet. Und natürlich eröffnet Ein grüner Junge die
Möglichkeit, dass ein Leser im Moment des Gefesseltseins dieses Angebot
übersieht, aber hinterher ist sie wieder präsent, und dann heißt es: ich
will das genauer wissen. Und ich hätte ein poetisches
Dostojewski-Geier-Dictionary anlegen müssen.
Bettina Böck übersetzt aus dem Englischen, zuletzt Susan Wittig Alberts Duft des Todes. Aktuell arbeitet sie unter dem Arbeitstitel Henry, NoBall & Nike an einer eigenen Flaneur-Twitter-Story.
Nicolai von Schwedter-Schreiner
Steve Tesichs Abspann
(S. Fischer 1999) ist die Geschichte eines Skriptflickers, der
Drehbücher umschreibt, um ihnen zum Erfolg zu verhelfen, und der
darunter leidet, trotz Unmengen von Alkohol nicht mehr betrunken zu
werden. Das Verhältnis zu seiner Ex-Frau sorgt für atemberaubende
Dialoge. Außerdem hat er einen Adoptivsohn, der seine Nähe sucht, die er
ihm aber nicht geben kann. Schön klug und zynisch erzählt, hat
Alice-Munro-Übersetzerin Heidi Zerning diesen Roman gut ins Deutsche
übersetzt. Die innere Zerissenheit des Erzählers wird stilistisch toll
aufgegriffen, aber lesen Sie selbst: »George Bush hatte eine Geliebte.
Dan Quayle war schwul. Eine der bedrückendsten Begleiterscheinungen
meiner Unfähigkeit, betrunken zu werden, war, dass ich diesen globalen
Dorftratsch nicht nur nüchtern mit anhörte, sondern dass ich mich am
nächsten Tag daran erinnern würde. Gedächtnisverlust machte eines der
wahren Vergnügen aus, betrunken zu sein, und als ich noch in meinem
alten gesunden Ich steckte und jeden Abend volltrunken war, erwachte ich
am nächsten Morgen erfrischt und ohne jede Erinnerung an den Abend
vorher.«
Nicolai von Schwedter-Schreiner übersetzt aus dem Englischen und Portugiesischen. Zuletzt hat er Chigozie Obiomas Der Dunkle Fluss, Jennifer Clements Gebete für die Vermissten sowie Daniel Galeras Flut übersetzt.
Elke Link
einem »Plot« ließe sich in diesem Buch kaum reden – daher ist mein Tipp
vielleicht nicht die klassische Sommer-Sonne-Strand-Lektüre – oder
vielleicht gerade deshalb? Raymond Queneaus Stilübungen, in der
hervorragenden Übersetzung (samt Erweiterung) von Frank Heibert und
Hinrich Schmidt-Henkel, ist Sprachspielspaß pur. In Vorwegnahme des
späteren Oulipo-Anarchismus verwandelt Queneau bereits in den
Vierzigerjahren eine banale Begebenheit – Paris, ein junger Mann mit Hut
gerät in eine Rempelei im Bus, vor einem Bahnhof wird er erneut
gesehen, er bekommt einen Rat bezüglich eines Knopfes – zum
Ausgangspunkt für eine Vielzahl von Sprachspielen, in denen er diese
Begegnung unter bestimmten stilistischen Vorgaben (z.B. schwülstig,
Litotes, Sonett, mathematisch …) neu erzählt. Die Übertragung dieser
halsbrecherischen Tour de Force ins Deutsche wird von den beiden
Übersetzern mit Bravour und für die Leser spürbarer Freude gemeistert.
Im klugen Nachwort liefern sie noch den historischen und literarischen
Kontext. Nicht nur für Reisen nach Frankreich zu empfehlen.
Elke Link übersetzt aus dem Englischen. Zuletzt hat sie Lisa Sees Roman Tochter des Glücks, Amy Tans Das Kurtisanenhaus und Luana Lewis Roman Lügenmädchen ins Deutsche übertragen. Im Herbst erscheint in ihrer Übersetzung Kathleen Winters Roman Eisgesang.
Ulrich Blumenbach
Oben auf meinem Bücherstapel für den Urlaub liegt Willa Cathers Meine Antonia
aus dem Jahr 1918 in der Neuübersetzung von Stefanie Kremer (Klaus
2008, btb 2012). Willa Cather, die 1923 den Pulitzer-Preis erhielt, war
mir – bis auf einen flüchtigen Blick in Der Tod bittet den Erzbischof – bislang entgangen. Dann fiel mir bei einem Freund Meine Antonia
in die Hand, ich hab reingeschmökert, und der Anfang des Romans (weiter
bin ich damals nicht gekommen) ist geradezu eine Liebeserklärung an die
Weiten der Prärie von Nebraska. Die Titelfigur ist laut Klappentext
eine „jener starken, mutigen Frauen, die das Herzland Amerikas urbar
gemacht haben“. Dazu kann ich nichts sagen, der Urlaub hat ja noch nicht
angefangen. Aber man lasse doch nur dieses Prosagedicht von der ersten
Seite auf sich wirken: »Während der Zug die endlosen Meilen reifen
Weizens durchschnitt, vorbei an ländlichen Städtchen, leuchtend bunt
blühenden Wiesen und kleinen Eichenwäldern, deren Laub in der Sonne
welkte, saßen wir im Panoramawagen; das Holz fühlte sich heiß an, und
alles war dick mit rotem Staub überzogen. Der Staub und die Hitze, der
sengende Wind, all das ließ viele Erinnerungen in uns wach werden. Wir
sprachen darüber, wie es ist, seine Kindheit in solchen kleinen
Städtchen zu verbringen, begraben unter Weizen und Mais, in stetem Kampf
gegen die Kapriolen des Wetters: in den glühend heißen Sommern, wenn
das Land grün und wogend unter einem strahlend blauen Himmel liegt, wenn
die üppige Pflanzenwelt einen schier erstickt mit den Farben und
Gerüchen des wuchernden Unkrauts und der reichen Ernten; in den
stürmischen, schneearmen Wintern, wenn das ganze Land grau und kahl
gefegt ist wie Eisenblech.«
Ulrich Blumenbach übersetzt aus dem Englischen. Zuletzt erschien in seiner Übersetzung Truman Capotes Wo die Welt anfängt, Joshua Cohens Vier Nachrichten und Jonathan Lethems Der Garten der Dissidenten. Für seine Übersetzung von David Foster Wallace Infinite Jest (Unendlicher Spaß) erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse.