Ein Erfahrungsbericht aus Schülerperspektive
Mir persönlich hat die neue Situation, die wir als Schüler „dank Corona“ erfahren durften, viele wertvolle, neue Erfahrungen gebracht – sowohl positive als auch negative. Zu Beginn war es eine Herausforderung, mit den Veränderungen in allen Bereichen des Lebens umzugehen und sich zurechtzufinden. Ich schätze einmal, dieser Aussage kann jeder nur zustimmen, denn wir waren alle auf unterschiedliche Art und Weise von der Pandemie betroffen.
Für mich selbst fielen einige Aktivitäten aus meinem Alltagsleben weg und neue Perspektiven entstanden. Durch die Ausgangsbeschränkungen und ihre Auswirkungen auf die Gastronomie war ich nicht mehr in der Lage, meinem Nebenjob nachzugehen. Zum Glück hatte ich noch genügend Überstunden vom Winter, konnte somit einfach Stunden abbauen und sah keine Kürzungen auf meinem Lohnzettel. Das war allerdings bei manchen meiner Arbeitskollegen nicht der Fall, da einige von ihnen bereits vor der Krise Minusstunden angehäuft hatten.
Ende April durfte der Verkauf im Café wieder öffnen und alle waren froh über die Nachricht, wieder arbeiten zu dürfen; dennoch herrschte eine gewisse Zukunftsangst. Ich war glücklicherweise nicht von Geldsorgen geplagt, da meine Mutter seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen von zuhause aus arbeitete und ihre Firma keine Kurzarbeit angemeldet hatte. Mein Arbeitgeber sah durch die Ausgleichung des Stundenkontos auch keinen Grund, mein Gehalt zu kürzen, und auch die BAföG-Zahlungen kamen weiterhin. Leider sah es bei manchen Klassenkameraden weniger gut aus: Sie verloren ihren Nebenjob, da ihre Firmen Kurzarbeit angemeldet hatten und sich Aushilfen nicht mehr leisten konnten; teilweise waren auch noch ihre Eltern vom Arbeitsausfall betroffen.
Zimmer aufräumen gegen die Öde des Alltags
Manche meiner Schulfreunde beschrieben ihren Alltag wegen wegfallender Hobbys als sehr langweilig, öde und eintönig. Andere hingegen entdeckten neue Beschäftigungen für sich (stricken, spazieren gehen, Erkundungstouren durch die Nachbarschaft, sich online zum Sport oder zum Tee mit Freunden verabreden, Entdeckung neuer Lieferservices und anschließende Diskussionen mit der Waage). Gewisse sportliche Aktivitäten kann man im eigenen Lebensraum selbst ausüben, die Möglichkeiten eines Fitnessstudios hat man zu Hause allerdings nicht. Für mich fiel das Schwimmen im Schwimmbad mit Freunden weg (in der Badewanne zu Hause war es doch etwas kompliziert), und Yoga-Kurse, an denen ich zuvor teilgenommen hatte, wurden gestrichen oder versuchsweise online gehalten. Als neue Beschäftigungen kamen hinzu: mal ein Buch ganz fertiglesen, etwas aufwändiger kochen (da man jetzt endlich mal Zeit dafür hatte) und mit meiner Mutter einen täglichen After-Work-Spaziergang machen. Auch das neue Streaming-Angebot von Disney+ kam genau zum richtigen Zeitpunkt und man konnte sich in seine Kindheitserinnerungen und Kindheitsserien flüchten, wenn die Zukunft einem Sorgen bereitete. Sogar das Zimmer aufzuräumen machte irgendwann Spaß … Erschreckend …
Da ich nun mehr Zeit zur Verfügung hatte, meine zwölf Wochenstunden in der Arbeit wegfielen und wir auch nicht mehr in die Schule gehen durften, hatte ich die perfekten Voraussetzungen, um mich für die Abschlussprüfungen Ende Mai vorzubereiten. Ich war sozusagen komplett auf mich allein gestellt; eine grobe Richtung wurde von den Lehrkräften vorgegeben, die uns mit Unterrichtsmaterialien versorgten und mittels Live-Sessions den Kontakt zu uns aufrechterhielten. Trotzdem war das nur der Rahmen und die eigentliche Herausforderung stellte das eigene Zeitmanagement dar. Es war eine neue, ungewohnte, noch nie dagewesene Situation, mit der sich jeder erst einmal anfreunden musste.
Im Schlafanzug zum Online-Unterricht
Im Februar hatte jeder noch sein gewohntes Leben: aufstehen; gestresster Weg zur Schule; Parkplatzsuche und darauffolgender Anschiss der Lehrer, wenn man es mal wieder nicht pünktlich in den Unterricht geschafft hatte; Schule bis ca. 15 Uhr; in die Arbeit; Hausaufgaben machen; schlafen.
All das änderte sich schlagartig zu: aufstehen; im Schlafanzug vor den Laptop hocken; versuchen, wach zu werden, während man sich in den Online-Unterricht einloggt; für kurze Zeit aufmerksam zuhören; dann Internetprobleme; lange, laute und hitzige Diskussionen mit dem Router, gefolgt von Wutausbrüchen; kurz vor Ende der Unterrichtsstunde schließlich wieder online; dann 45 Minuten Pause bis zur nächsten Unterrichtseinheit; panisches Kochen; mit heißem Essen in der Hand einen Sprint von der Küche zum Arbeitsplatz hinlegen, um rechtzeitig anwesend zu sein; dann auch noch das Glück haben, beim Essen unterbrochen zu werden, um dolmetschen zu müssen; nach dem ganzen anstrengenden Unterricht erst einmal ein Nachmittagsschläfchen einlegen; sich anschließend aufraffen, ein paar der bereits lange überfälligen Aufgaben bei anderen Lehrern abgeben; seiner Seele dann einen ruhigen Spaziergang gönnen; abschließend mit Freunden via Houseparty oder WhatsApp videochatten, um in seinen eigenen vier Wänden nicht ganz allein durchzudrehen, sondern gemeinsam; dann schlafen und sich mental auf den nächsten anstrengenden Tag vorbereiten.
Spaß beiseite: Ich hatte durch das Online-Lernen die Möglichkeit, Online-Übersetzungssoftwares zu nutzen und besser kennenzulernen. Auch die digitale Korrektur der Arbeiten durch die Lehrer half mir sehr, da ich bereits seit zwei Jahren alle meine Dokumente auf dem Laptop bearbeite. Wir konnten unseren Lehrern zu jeder Zeit schreiben und bekamen oft schnelle Rückmeldung. Sie versuchten uns, so gut es ging, durch diese Zeit zu bringen. Hilfreich waren vor allem vorgegebene Deadlines, da man dann für sich selbst priorisieren konnte, was wann fällig war. Die Online-Sessions fand ich tatsächlich auch schöner, als nur einen Auftrag zu bekommen, da man direkten Kontakt hatte und Rückfragen einfacher mit den Lehrern besprechen konnte. Allerdings waren diese Stunden manchmal ungünstig von den Uhrzeiten her, da sich die Lehrer am normalen Stundenplan orientierten.
Ein weiterer Nachteil des digitalen Unterrichts: Wir verlernten (fast) das Schreiben mit der Hand. Das klingt vielleicht ein wenig absurd, jedoch mussten bzw. konnten wir nichts mehr in handschriftlicher Form einreichen. Somit stellten bei den Reden, die wir im Fach Vortragsdolmetschen in die andere Sprache übertrugen, nicht die Sprachbarriere oder die Verdolmetschung ein Problem dar, sondern wir kamen hauptsächlich beim Notizennehmen an unsere motorischen Grenzen. Bis zu den Abschlussprüfungen musste dieser Trainingsrückstand natürlich wieder aufgeholt werden.
Ablenkung und Disziplin im Home-Office
In Hinblick auf die Prüfungsvorbereitungen sah es am Anfang erfolgversprechend aus, da wir in der ersten „schulfreien“ Woche noch sehr wenige Aufgaben von den Lehrkräften bekamen. Also hatten wir Zeit, uns mit Stoffzusammenfassungen oder der Überarbeitung unserer Glossare zu befassen. Als der Unterricht dann online ins Rollen gebracht wurde, fiel das etwas unter den Tisch. Man war hauptsächlich damit beschäftigt, die regelmäßig zugesandten Aufgaben zu erledigen, und hatte nebenbei kaum Zeit für andere Dinge. Teilweise fühlte es sich an, als würde man mit den Deadlines regelrecht jonglieren, da immer wieder neue Texte darauf warteten, übersetzt zu werden.
Meiner Meinung nach hatten wir zwar durch das eigene Home-Office mehr Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten, wir benötigten aber gleichzeitig Disziplin und Willensstärke. Nicht jeder funktionierte ganz ohne Druck, manch einer ließ sich schnell und leicht ablenken, andere wiederum bearbeiteten ihre Aufgaben sehr zügig und hatten somit mehr Zeit für anderes zur Verfügung. Das eigene Arbeiten von zu Hause aus ist, denke ich, nicht für jeden geeignet, aber wir hatten jetzt die Möglichkeit, einen kleinen Einblick in den Arbeitsalltag eines Übersetzers im Home-Office zu bekommen. Dadurch konnte man sich ein Stück besser kennenlernen, denn jeder verbrachte ja die meiste Zeit mit sich selbst.
Leben mit der Unsicherheit
Zeit mit sich selbst bedeutet aber auch Zeit zum Grübeln. Leider wurde das Lernen durch die Ungewissheit nicht unbedingt leichter. Wir wussten in dieser Situation nicht, was wann auf uns zukommen würde: ob die fehlenden Klausuren noch nachgeholt würden, ob wir dieses Schuljahr überhaupt einen Abschluss bekämen, ob wir in wenigen Monaten unbesorgt in das Arbeitsleben und somit vollständig in das Erwachsenenleben eintauchen dürften. Das war aus unserer Sicht ein wenig beängstigend, da wir einfach nicht planen konnten. Manche Klassenkameraden sahen sich zudem auch schon nach Wohnungen in Großstädten um, und diese essentiellen Zukunftsfragen konnten sehr erdrückend wirken.
Corona veränderte alles. Da war es dann manchmal auch schwierig, seine Freunde nur digital treffen zu können. Wobei das immer noch besser ist als gar nicht. Und was viele am meisten überraschte: eine gewisse Sehnsucht nach Schule.
Sabrina Schwab, FAE 3 der Fachakademie für Übersetzen & Dolmetschen Weiden/Opf.
Photo: A. Betz